Humanitäre Hilfe Osteuropa e. V.

Mitglied im Diakonischen Werk der SELK

Reisebericht 17.-23.10.2018

Reisebericht Belarus 17.-23.10.2018 von A. Müller

Nach 14 Jahren durfte ich zum zweiten Mal an einer Reise nach Weißrussland teilnehmen. Was hatte sich dort wohl seit 2004 verändert? Würde ich die Orte und Menschen wiedererkennen? Wie käme ich mit meinen drei Mitfahrern (Diethard Roth, 1. Vors. des Vereins; Tobias Krüger, 2. Vors. des Vereins und Sergius Schönfeld, Pastor in Wolfsburg/Gifhorn (und für diese Fahrt der Übersetzer) zurecht? Oder besser gefragt: Wie gut würden sie mich ertragen? Die geplante Reiseroute sollte  einmal quer durchs ganze Land führen und es standen acht ev.-luth. Gemeinden der SELK-RB (Selbständig evangelisch lutherische Kirche Belarus) und einige Besuche bei Einrichtungen (Krankenhäuser, Heime, Tagesstätten) auf dem Programm.

Mit Reisetaschen und den nötigen Visa starteten wir (Tobias, Sergius und ich) am 17.09.18 mittags in Tobias BMW ab Wolfsburg Hb. Über Frankfurt/Oder ging es immer ostwärts, Poznan, Konin, Warschau bis zur Grenze Polen/ Belarus, die wir kurz nach Mitternacht erreichten. Die gesamte Fahrt auf einer wunderbaren Autobahn, die vor 14 Jahren noch großteils Baustelle gewesen war. Während die beiden Männer hier an der EU Außengrenze einen kleinen Stapel Papiere auszufüllen hatten, versuchte ich auf dem Rücksitz ein Nickerchen zu halten. Das ist aber nicht so einfach, wenn man zu solch einer aufregenden Fahrt aufgebrochen ist. Im Morgengrauen erreichten wir Lida. Zunächst lernten wir den Ehrgeiz und die Durchhaltekraft von Tobias kennen. Er wollte das Gemeindehaus finden, bevor wir  Sergej Heil, den dortigen Pastor, aufsuchen wollten, wo ein Treffen vereinbart war. Und tatsächlich war seine Suche erfolgreich. Hier war ich vor 14 Jahren auch gewesen und nun stand ich wieder vor dem Gemeindehaus. Es war etwas in die Jahre gekommen und in der Nachbarschaft waren ander Häuser gebaut worden. Doch das Gravierendste: das Kreuz  an der Außenwand fehlte! Beim späteren Gespräch erfuhren wir, dass das Haus vor kurzem verkauft wurde. Die Gemeinde sei enorm geschrumpft und die anfängliche Vision, hier ein christliches Zentrum für Belarus zu etablieren, hat sich zerschlagen.Kinder- und Jugendfreizeiten hatten hier statt gefunden, auch Schulungen für Diakone und Tagungen für Gemeindeleiter. Aber das gehörte jetzt der Vergangenheit an. Pastor Heil wirkte hoffnungslos auf mich und ohne Elan für die Zukunft. „Wie es mit der ev. luth. Gemeinde weitergehen würde, wird in nächster Zeit zu besprechen sein“, so Pastor Heil. Nach reichlichem, leckerem Essen vom Grill verabschiedeten wir uns von der ganzen Familie, denn auch Olga, die Tochter, die uns beim letzten mal mit ihrer Gitarre ein Ständchen gegeben hatte, war mit Ehemann anwesend. Olga ist gelernte Floristin und arbeitet nun in der Stadt. Aus Krankheitsgründen mußte sie das Gitarre spielen leider aufgeben.

In Minsk (Flughafen) angekommen, treffen wir Diethardt Roth. Er hatte sich für die bequemere An- und Abflugsvariante entschlossen, für die man neuerdings auch kein Visum mehr benötigt. Noch im Flughafen hatten wir eine Verabredung mit Bruder Vitaliy von der Caritas Minsk. Es ging darum, wie die Zusammenarbeit des Vereins mit der Caritas in Zukunft gestaltet werden kann, ob es Probleme gibt oder wo Verbesserungsmöglichkeiten bestehen. Wenn ein LKW mit Hilfsgütern für Belarus verladen wird und es in Zusammenarbeit mit der Caritas geschieht, wird die Ladung in ein zollfreies Lager der Caritas gebracht. Das erspart dem Verein Kosten und auch die sehr aufwendigen Formulare werden dann durch die MA der Caritas erledigt. In solchem Fall bekommt die Caritas die Hälfte der Hilfsgüter. Die andere Hälfte wird von den ev. luth. Gemeinden der SELK RB verteilt. Die Ladeliste kann von Deutschland aus so geschrieben werden, dass gleich klar ist, was für die Gemeinden und was für die Caritas bestimmt ist. Bruder Vitaliy erklärt uns noch, warum es oft Monate dauert, bis die Hilfsgüter zur Verteilung freigegeben werden.  Das ist sehr hilfreich zu wissen. Außerdem hat es möglicherweise vor einiger Zeit Unregelmäßigkeiten bei der Verteilung gegeben. Eine Person hatte angeblich von den Spenden etwas verkauft. Das ist weder für die Caritas noch für den Verein hum. Hilfe Osteuropa hinnehmbar, denn beide Organisationen dürfen laut Satzung die Hilfsgüter nur an Bedürftige verschenken und nicht verkaufen. Dieser Sache wird jetzt nachgegangen.

Nach weiteren fast 4 Stunden Autofahrt erreichen wir kurz vor Mitternacht  Polozk. Mein Abendgebet lautet:“Gute Nacht, lieber Gott!“, dann falle ich totmüde ins Bett. Immerhin waren wir jetzt 42 Stunden auf den Beinen.

19.09.18 Gut erholt starte ich in den neuen Tag. Zwar ist das Frühstück gewöhnungsbedürftig (es gibt hier scheinbar keine Marmelade), aber ich werde auch von Fisch, Kartoffeln, Pfannkuchen, Milchbrei oder Bucheckernbrei satt. Svetlana, die Gemeindeleiterin, erwartet uns schon. Seit der Gemeindegründung (ca.1998) gab es hier mind. 5 Pastorenwechsel. Durch deren Streitigkeiten spaltete sich die Gemeinde. Das Gemeindehaus mit Kirchraum wurde 2008 mit Hilfe des Vereins gekauft. Seit die Gemeinde vakant ist fehlt es an geistlicher Leitung. Dringend erbitten sie einen Pastor und es hätte nicht viel gefehlt und Sergius wäre dort geblieben ; )

In einem Heft dokumentiert Svetlana die Hilfsgüterlieferungen und die Verteilung. Auch viele Dankesbriefe zeigt sie uns von Menschen, die von der hum. Hilfe etwas bekommen haben. In Polozk wurde schon mehrmals 50%/50%  mit dem Heim für psychisch Kranke geteilt. Dorthin geht es jetzt, damit wir sehen, wie es inzwischen in diesem Heim aussieht. Nach freundlicher Begrüßung beginnt die Führung durch das große Gelände. Hier wohnen 170 Frauen und Männer mit geistig und körperlichen Einschränkungen. Durch staatliche Hilfe wurden sämtliche Leitungen (Strom, Gas, Heizung, Wasser und Abwasser) unter die Erde verlegt. In Planung ist die Erneuerung der Küche. Man zeigt uns das Mobiliar (verschließbare Schränke, Tische und Stühle), das durch die hum. Hilfe hier gespendet wurde und dankt herzlich dafür. 40 weitere Schränke werden hier erbeten, denn jeder Bewohner möchte gern seine kleine  Privatsphäre haben und sein „Besitztum“ einschließen können. Auch rollbare Tische übers Bett zu schieben, Winterkleidung und Schuhe erbittet der Heimleiter im Namen seiner Schützlinge. Durch Schweine- und Kuhhaltung versorgt sich das Heim teilweise selbst und die Menschen arbeiten im Garten oder Haus mit, wo immer es möglich ist. Der Männerbereich ist überbelegt, aber an Erweiterung oder Neubau ist nicht zu denken. In den ca.25 qm großen Zimmern wohnen 4 Männer. Außer einem eigenen Bett mit Decke und Kopfkissen, hat jeder noch einen kleinen Schrank (unverschließbar) für seine Kleidung. Auf dem „hauseigenen“ Friedhof gibt es 120 Gräber. Das ist insofern sehr traurig, da in diesen Fällen die Familien nicht bereit waren, ihre Angehörigen selbst zu bestatten. Sei es aus Kostengründen oder weil sie schon mit dem Einliefern der Person, den Kontakt abgebrochen hatten. Behinderte gehören hier zu den Allerschwächsten der Bevölkerung. Gern spräche ich mit den Bewohnern oder dem Personal, aber ohne Dolmetscher geht hier gar nichts.

Das sollte beim nächsten Besuch einer Tagespflegeeinrichtung in Novopolozk anders werden. Dort angekommen begrüßte uns eine Tanzgruppe, bestehend aus Jugendlichen, die hier täglich ein- und ausgehen. Knapp 50 junge Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen werden hier gefördert und betreut. Ziel der Arbeit ist, die jungen Menschen in die Gesellschafft zu integrieren. Das wird versucht, indem ein individueller Zugang zum Einzelnen gesucht wird. Die MA gehen dann auf Entdeckungsreise,um die Talente des Einzelnen zu finden und zu fördern. „Hier lernen die Tagesgäste etwas fürs Leben“, so eine der Betreuerinnen. Bei der Besichtigung einiger der 13 Beschäftigungsgruppen, konnten wir uns von der Arbeit im Haus überzeugen. Hier wurde getöpfert, gepuzzelt,mit Wachs gearbeitet, ein autistischer Junge hatte einen eigenen Malstil entwickelt und arbeitete tief versunken an seinem Werk. Ja, das sah wirklich fantastisch aus und die Mitarbeiter konnten mit Grund stolz auf ihre Arbeit sein. Schnell fand ich heraus, dass eine MA in Braunschweig gelernt hatte und gebrochen Deutsch sprach. Ich erkundigte mich, wie die humanitäre Hilfe hier verteilt wird. Antwort: „Die Hilfe wird an die Familien der Behinderten, an Rentner und an kinderreiche Familien verteilt. Auch andre soziale Einrichtungen werden bedacht, wenn sie um Hilfsgüter bitten. Wer um Hilfe bittet, muß zunächst einen entsprechenden Ausweis besitzen und vorzeigen. Dann wird er  zu Haus besucht. Danach entscheidet eine Kommission, ob derjenige in die Liste aufgenommen wird oder nicht.“ Das hört sich seriös und professionell an. Beim Abschied möchte ich wissen, welche Spenden hier besondere Freude auslösen würden? „Wir wünschen uns Musikinstrumente“, so die Antwort „denn musizieren ist etwas Wunderbares!“ Die leuchtenden Augen der Akteure beim Tanz zur Musik  hatten wir ja auch zu Beginn beim Begrüßungstanz gesehen.

Für heute steht noch ein Termin auf unserem Programm: die Gemeinde in Vitebsk mit Andacht und Abendessen.  Als wir gegen 17 Uhr dort eintreffen, wartet eine knapp 20-köpfige Gemeinde und der gewählte Bischof der SELK RB Pawel Luschenko schon geduldig auf uns (Achtung: Pastor Luschenko ist nicht zu verwechseln mit dem Präsidenten von Weißrussland Alexander Lukaschenko). Ich bin etwas verwundert, denn es ist ein normaler Arbeitstag. Bei der Andacht (sie dauert etwas länger als bei uns ein Sonntagsgottesdienst) wird laut und sehr „unorthodox“ gesungen. Es hört sich nach einer fröhlichen Christenschar an, die gewohnt ist, Gott laut zu loben. Da die Melodien bekannt sind, stimme ich kräftig mit  deutschem Text ein und bin sicher, dass das bei der allgemeinen Lautstärke niemand merkt. Beim anschließenden Abendessen lerne ich Tatjana, die Gemeindeleiterin, kennen. Angeregt unterhalten und diskutieren die Personen am Tisch, sodass Sergius mit dem Übersetzen gar nicht mehr hinterher kommt. Hier scheint ein handfester Konflikt zu bestehen, der heftigst ausgetragen wird. Später erfahre ich, dass auch die Gemeinde Vitebsk – wie auch schon die in Polozk – sich gespalten hat. In diesem Fall spielte dabei die frühere Gemeindeleiterin eine Rolle. Zwar wurde am Tisch auch gelacht und später versöhnlichere Töne angeschlagen, aber zuerst müssen wohl noch klärende Gespräche zwischen den Pastoren geführt werden. Auf dem Weg ins Hotel kaufen wir noch einen 20 l Kanister, um das Add blue System, dass einen Systemfehler angezeigt hat, zu beruhigen. Doch auch der BMW scheint ein größeres Problem zu haben, genauso wie die christliche Gemeinde. Nachdenklich und traurig gehe ich schlafen und merke, wie sehr wir, die Delegation der humanitären Hilfe, mit der Kirchenpolitik verwoben sind.

20.09.18 Es ist fast nicht zu glauben, dass ich trotz stickigem Zimmer, weil sich die Fenster nicht öffnen ließen, so gut erholt erwache. Im Auto wird es jetzt gemütlich, denn Bischof Pawel Luschenko begleitet uns bis Orscha. Doch zuvor steuern wir eine BMW- Werkstatt an. Tobias ist sich nicht sicher, ob eine Weiterfahrt  zum Totalschaden führen könnte, ob wir besser einen Leihwagen nehmen sollten oder ob eine Reparatur sinnvoll ist. Während das Auto gecheckt wird, nutzen D. Roth, P. Luschenko und ich die Zeit, um uns über  die letzten 2 Tage auszutauschen. Dabei verfliegt der Vormittag im Nu und plötzlich geht’s weiter. In Orscha ist der Tisch im Gemeindehaus längst gedeckt mit Kartoffeln, Bouletten und heißer Hühnerbrühe, die wirklich gut zur heißen Sommertemperatur passt. Doch eigentlich ist das Haus das  Privathaus von Vera und ihrer Schwester. Und es gibt auch eigentlich nur einen Raum. Hier wohnen, kochen, schlafen und arbeiten sie und sonntags wird in eben diesem Raum Gottesdienst gefeiert. Vera, die Gemeindeleiterin, sagt:“ Ich sehe nur noch auf einem Auge und meine Schwester hat nur ein Bein, aber zusammen sind wir fit!“ Mit humanitärer Hilfe wurden sie schon mehrmals bedacht und der Sohn konnte sie mit seinem  Transporter abholen. Verteilt wurden die Hilfsgüter  in der Gemeinde (knapp 20 Personen) und in der Nachbarschaft. Beim Essen erfahren wir, dass das Haus in einer Woche abgerissen werden soll, denn der Präsident kommt zu Besuch nach Orscha und dann soll alles top aussehen. Aber die Sauna im Garten, die den Schwestern als Wohnung dienen soll, ist noch nicht bewohnbar. Die beiden wissen nun nicht recht, was zu tun ist. Neben dem Haus hat die Gemeinde eine Kirche aus Stein gebaut. Dieses Bauvorhaben begann vor etwa 11 Jahren. Nun fehlt nur noch das Dach, aber das darf nicht gedeckt werden, denn leider steht die Kirche zu einem halben Meter auf dem Nachbargrundstück. Der neue Nachbar, der auf die christliche Gemeinde nicht so gut zu sprechen ist,  hat möglicherweise die Pläne diesbezüglich verändert, aber die drei staatliche Behörden waren sich nach langen Prüfungen einig, dass alles so stimmt. Jetzt verlangt die Baubehörde einen neuen Plan. Da ein kirchlicher Bau 10x teurer ist, als ein privater, wurde das ganze Projekt als privater Bau deklariert. Es gibt keine Versammlungserlaubnis, auch ein Kreuz oder ein Schild darf nicht offen an das Haus montiert werden. Probleme! Probleme! Die Gemeinde hat trotz all der Widrigkeiten beschlossen, noch vor dem Winter das Dach zu decken. Nach dem Essen werden wir eine Grundstücksbegehung machen und  ich bin ganz gespannt auf die „Sauna“, in der man wohnen kann. Sie entpuppt sich als einstöckiges Steinhäuschen neben einem Gewächshaus und dem obligatorischen Plumpsklo (Donnerbalken  gehören auf dem Land noch zur Normalität). Es gäbe hierzu noch viel zu schreiben, aber das würde den Rahmen sprengen. Darum nur soviel: Wie wollen die beiden Schwestern (mit einem Bein und halbblind) hier im Obergeschoß wohnen? Und wie kann das Dilemma mit dem Kirchbau gelöst werden?

Durch den Werkstattaufenthalt haben wir am Vormittag Zeit verloren, darum drängt Diethardt zur Weiterfahrt. Auch die Gemeinde Gomel wartet auf unseren Besuch, der für nachmittags anberaumt war. Gegen 19.30 Uhr treffen wir bei Valentina, Gemeindeleiterin, und ihrem Ehemann Stanislav, Prediger, in Gomel ein. Vor 14 Jahren versammelte sich diese Gemeinde in einem kleinen Zimmer in der Stadtmitte. Jetzt besitzen sie ein Gemeindehaus mit Küche, Toilette, Flur und dem Gottesdienstraum. Sonntags kommen 30-40 Personen zum Gottesdienst. Auf dem Grundstück steht eine Garage, in der die Kartons mit humanitärer Hilfe bis zur Verteilung lagern. Sie verteilen, ähnlich wie in den anderen Gemeinden auch, an kinderreiche Familien, Invalide, Rentner und eine Einrichtung, in der Kinder bis zu 16 Jahren betreut werden. Die Bedürftigen sagen Valentina, was sie benötigen und sie stellt dann die Säcke/ Kartons zusammen und beschriftet diese. Valentina zeigt uns viele Bilder auf ihrem handy von der Verteilung im letzten Jahr und auch die Paramente, die im LKW aus Bötersen gebracht wurden, werden fröhlich hervor geholt.

21.09.18 Beim Wecker klingeln muß ich mich wieder orientieren, wo ich eigentlich bin. Ja, ich erwache gefühlt in einer anderen Welt. Der Wodka vom Vorabend zeigt keine negativen Folgen, es war sicher ein guter! Frühstück gibt es heute bei Burger King. Diethardt dippt seine Pommes in Ketchup, Sergius und ich essen „Tasche“ und Tobias fastet bei einer Tasse löslichem Kaffee. Heute steht Hoiniki auf dem Programm. Hoiniki befindet sich, wie auch Gomel, im Tschernobylgebiet. Die Gemeinde hat ihr Gemeindehaus renoviert, tapeziert und gestrichen. „Das war sehr nötig“, sagt Olga, die Gemeindeleiterin. Alles sieht neu und frisch aus. Beim Essen erzählen sie von den vielen Problemen, die sie im Frühjahr hatten, um die Hilfslieferung frei zu bekommen. Ich notiere mir alles, damit möglichst vermeidbare Dinge nicht wieder vorkommen. Z.B. wurden bei Stoffen Preisschilder gefunden. Obwohl es sich offensichtlich um Stoffreste handelte, sollte es als Handelsware verzollt werden, was sehr teuer ist. Auch wurde Bettwäsche in Originalverpackung entdeckt. Neue Ware ist bei Hilfsgütern nicht erlaubt und muß immer aus der Verpackung genommen werden. Bei zwei großen Plüschtieren stimmte das Gewicht nicht, auch das gab Probleme! Aber trotz allen Widrigkeiten erbaten sie dringend weitere  humanitäre Hilfe. Im weiteren Gesprächsverlauf erfahre ich, dass ein Arbeitsloser Abgaben zahlen muß. Mir dämmert, warum die Arbeitslosigkeit offiziell nur bei 1% liegt. Der Durchschnittslohn liegt bei 800 Rubel, meldeten die Medien, aber Svetlana sagt:“ Ich wüßte nicht, wer so viel verdienen sollte. Das ist eine fiktive Gehaltshöhe. Keiner bekommt das“. Obwohl sie und ihr Mann Arbeit haben, muß sie ihre Schuhe auf Raten kaufen, Urlaub macht siedurch Anschauen der Bilder im internet und den Wunsch auf ein kleines Gewächshaus konnten sie sich nicht erfüllen, da die Bank sie für nicht kreditwürdig hält. Aus diesen Worten spricht so viel Hoffnungslosigkeit. Vielleicht bewegten D. Roth diese Tischgespräche auch sehr, denn er predigt am nächsten Tag in Glusk über das Thema: „Wem das Wasser bis zum Hals steht, der sollte den Kopf nicht hängen lassen“. Zugrunde liegt der Text aus 1. Kor. 3,5ff ,es geht um die Arbeiter in Gottes Weinberg (also um uns) und die Geduld, die oft nötig ist, damit die Früchte wachsen und reifen können. Den Abend beschließen wir vier im Hotel und stoßen auf Sergius neues Lebensjahr an. Ausnahmsweise tauschen wir uns mal über unsere eigenen Zukunftspläne aus.

22.09.18 Leider kennt das Navi die Strassen in Belarus nicht und leider haben wir auch kein Kartenmaterial dabei. Leider ist uns auch die Adresse der Gemeinde in Glusk irgendwie abhanden gekommen und so versucht Sergius auf vielerlei Arten, wenigstens eine Telefonnummer von Lidia, der Gemeindeleiterin, zu bekommen. Wir sind uns einig: das ist für die nächste Fahrt verbesserungswürdig! Auch hier haben sich ca. 20 Personen zum Gottesdienst versammelt. As Plumpsklo im Garten ist mit Teppich ausgelegt und ich habe durch das Herz in der Tür einen wunderbaren Blick auf eine früchtebehangene Hagebutte. Bei so viel Idylle vergesse ich die Armut vieler im Lande. Im Vorraum entdecke ich Fotos von meiner Fahrt 2004 und eine Frau gesellt sich zu mir. Wir sprechen nicht dieselbe Sprache, aber ich verstehe sie trotzdem. Sie möchte, dass ich ihr ein Hörgerät schicke und mir schenkt sie dafür schon jetzt eine Tüte getrockneter Kürbiskerne. Geröstet und karamelisiert sind sie echt lecker. Auf der Weiterfahrt nach Bobruisk beschließen wir, dass ich den LKW aus Arpke für Glusk beladen werde. Pünktlich um 15 Uhr feiern wir wieder Gottesdienst. Dieses Mal in Bobruisk. Der Pastor heißt Nicolai und wechselte von den Baptisten zur SELK RB. Die Gemeindeleiterin heißt Larissa. Beim Gespräch nach dem Gottesdienst verliert der Altbischof plötzlich den Boden unter den Füßen. Er bricht durch den Fußboden, kann sich aber fangen, sodass nicht Schlimmeres passiert. Nur ein etwas modriger Geruch breitet sich nach und nach aus. Auch im Nebenzimmer zeigt man uns eine schimmelige Wand. An diesem Gebäude muß dringend gehandelt werden, das ist der Gemeinde klar. Aber woher die nötigen Mittel nehmen? So bitten sie uns um Hilfe:“ Bitte bringt auch weiterhin Hilfsgüter, bringt uns Werkzeug, Bohrer, Akkuschrauber, Küchengeräte…“ Es werden ja nicht nur die Gemeinden unterstützt, sondern so viele andere Bedürftige bekommen durch unsere Sammlungen kleine Lichtblicke im Alltag. Nachdem ausnahmslos alle Gemeinden und Einrichtungen darum baten, sie in Zukunft nicht zu vergessen und ihnen auch weiterhin humanitäre Hilfe zu bringe, darum ist für mich klar, dass ich, soviel an mir liegt, kräftig weiter sammeln, packen und spenden werde. Die junge Kirche in Belarus braucht neben unseren Gebeten auch Anleitung zum christlichen Leben. Es fehlen Pastoren, es fehlt an geistlicher Führung. Es fehlt an biblischer Unterweisung und das alles erbitten sie. Doch letztere Bitten betreffen nicht den Verein, sondern werden an die SELK weitergegeben.

23.09.18 Gestern Abend haben wir beim feed-back die Arbeitsaufträge für jeden von uns notiert. Heute setzen wir Diethardt an Flughafen/ Minsk ab und dann fährt Tobias mit Bleifuß nur noch westwärts. Nach einer Woche Reisezeit und knapp 4000 km, dankbar für die behütete Fahrt, mit vielen herzlichen Begegnungen, beeindruckt von Menschen, die unter so ganz anderen Umständen als wir ihr Leben führen und teilweise geschockt von Umständen, Erzählungen und Gesehenem, lassen wir die „andere Welt“ hinter uns und erreichen beim Morgengrauen des 24.09.18  in Vorfreude auf das eigene Bett den Hb. Wolfsburg. 

Ich habe erstmal 13 Stunden geschlafen.